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Denkst du manchmal über dein Leben nach?

Schau zurück – und finde deinen Weg nach vorn

Denkst du manchmal über dein Leben nach? Dann betreibst du damit eine Art Biografiearbeit. Das kann herausfordernd sein. Aber es kann ebenso sinn- und lustvoll sein. Ein kreatives Tun, das dich dir selbst, deinen Erfahrungen und Erlebnissen, deinen Wünschen, Träumen und Zielen näherbringt. Besonders hilfreich ist die ressourcenorientierte Biografiearbeit, denn sie bleibt nicht beim Erinnern stehen, sie bringt dich voran. Sie schenkt dir Einblicke in Schätze und Kraftquellen aus deiner Vergangenheit, die du nutzen kannst, um deine Gegenwart und deine Zukunft positiv zu gestalten.

Warum Erinnerungen lebendig bleiben

Manche Erinnerungen verblassen schnell, andere tauchen auch nach Jahrzehnten immer wieder in uns auf. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Besonders gut bleiben uns Ereignisse im Gedächtnis, die wir als einmalig oder besonders wichtig erleben. Ich bin zum Beispiel wegen Schnee und Glatteis zu spät zu einer Abitur-Prüfung gekommen. Die Busse fuhren nicht. Ich bin durch den ganzen Ort gerannt, um jemanden zu finden, der sich zutraut, mich bei diesen Verkehrsverhältnissen in die rund sechs Kilometer entfernte Kleinstadt zu fahren. Am Ende hat es geklappt. Ich durfte trotz meiner Verspätung meine Chemie-Prüfung schreiben. Noch heute steht mir die Szene lebhaft vor Augen. Das hat mit dem zweiten Grund zu tun: starke Emotionen.

Ich war zuerst aufgewühlt, nervös, panisch, dann erleichtert und freudig erregt. Alles Gefühle, die dazu beitragen, dass sich etwas tief einprägt. Ich gab dem Erlebnis einen symbolischen Wert und das ist ein weiterer Grund, dass ich mich immer wieder daran erinnere. Die Situation wurde für mich zum Symbol dafür, dass Ausdauer und Einfallsreichtum mich weiterbringen und dass mein Netzwerk stark und tragfähig ist.

Biografiearbeit mit Sinnen, Herz und Verstand

Wenn du dich mit deiner Lebensgeschichte beschäftigst, hat das kognitive, emotionale und körperliche Dimensionen. Das heißt, du erinnerst dich nicht nur mit Hilfe deines Verstandes, sondern du fühlst auch und nimmst sinnlich wahr. Diese Wahrnehmungen können sich über den Körper ausdrücken, in der Haltung, der Mimik und der Gestik. Ich rieche Zimt und lächle, weil ich diesen Geruch liebe und ihn mit Geborgenheit verbinde. Ein großer Hund rennt auf mich zu, ich hebe abwehrend die Hände, weil ich mit einer solchen Situation schlechte Erfahrungen gemacht habe.

Genau hier setzt die Biografiearbeit an. Sie fragt: Welche Bedeutungen und Auswirkungen haben bestimmte Ereignisse für einen Menschen auf all diesen Ebenen? Welche Stärken können Menschen daraus entwickeln?

Es kommt auf deine Bewertung an

Du nimmst deine Lebensgeschichte rückwirkend wahr und interpretierst sie. Sie ändert und entwickelt sich ständig, weil sich bei jedem Rückblick deine Sicht darauf ändert oder ändern kann. Deine Sicht ändert sich, weil dein Leben weitergeht und weil du neues Wissen, neue Emotionen und Wahrnehmungen verinnerlichst. Ich habe beispielsweise gelernt, dass nicht jeder Hund, der auf mich zu rennt, böse Absichten hat.

Deshalb ist es möglich, ein negatives Ereignis aus der Vergangenheit im Rückblick umzudeuten. Wichtig ist hierbei, dass Biografiearbeit keine Therapie ist und bei traumatischen Erlebnissen höchstens ein begleitendes Angebot sein kann.

Ob du eine Erinnerung im Rückblick negativ oder positiv siehst, hängt letztendlich nicht vom objektiv Erlebten ab, sondern von deiner Bewertung. Hilfreich ist, die Vergangenheit aus einer anderen Perspektive zu betrachten und sie neu zu bewerten. In der Psychologie wird dieser Ansatz „Reframing“ genannt: Der Sache wird ein neuer Rahmen gegeben. In der Biografiearbeit sagen wir häufig: Wir suchen das Gute im Schlechten.

Du bist mit einem gebrochenen Bein zu Hause gesessen und hast eine wichtige Dienstreise verpasst? Erst mal nicht schön. Aber vielleicht hast du in dieser Zeit ein spannendes Buch gelesen, das dein Leben verändert hat. Oder du hattest endlich die Gelegenheit, dich intensiv mit deinen Zukunftsplänen zu beschäftigen.

Wenn du Kraftquellen suchst, kannst du dich beispielsweise fragen: Bereichert mich etwas Vergangenes, das ich bisher negativ bewerte, in der Gegenwart? Welche „Superkräfte“ habe ich durch ein belastendes Erlebnis – einen Unfall, eine Trennung, eine Entlassung – gewonnen? Vielleicht hast du gelernt, nicht aufzugeben. Vielleicht hast du erfahren, auf welche Menschen du dich verlassen kannst. Vielleicht hast du gespürt, wie selbstbewusst dich das Erlebnis gemacht hat.

Positive Superkräfte

Doch nicht nur negativ bewertete Ereignisse können dir im Nachhinein Superkräfte schenken. Einfacher ist es, Stärke aus schönen Erlebnissen zu ziehen. Wenn du dich mit deiner Lebensgeschichte auseinandersetzt, kannst du herausfinden, was dir guttut und was dich aufbaut, welche Art Menschen du um dich haben willst, was du selbst kannst und wobei du Unterstützung brauchst.
All diese Superkräfte kannst du dir durch Reflektion, aber auch durch die spielerische und kreative Beschäftigung mit deiner Lebensgeschichte bewusst machen. Mit Geschichten und Gedichten, Zeichnungen und Collagen, Erzählungen und Austausch, Rollenspielen und sinnlichen Anregungen vom Essen und Trinken über kreatives Gestalten bis zu Körper- und Naturerlebnissen.

Egal, wie alt du bist. Denn schon Kindern kann ihre Lebensgeschichte Stärke schenken.

Fotografin: Denise Claus

Autor:
Beate Fischer ist Expertin für maßgeschneiderte Texte und Freude am Schreiben. Sie unterstützt und begleitet Menschen als Biografin und Trainerin für Biografiearbeit, Texterin und Autorin, freie Lektorin und Journalistin, Schreibcoach und Schreibpädagogin – und als Mensch.

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.

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