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Söhne großziehen als Feministin

„Es ist wichtig, nicht alles als männlich oder weiblich zu betrachten, sondern jeden Menschen in seiner Einzigartigkeit zu sehen“

Als Shila Behjat erfährt, dass sie Mutter eines Sohnes wird, beginnt für die Feministin eine intensive Auseinandersetzung mit sich selbst, ihrem Feminismus und ihrem verinnerlichten Männerbild. Mittlerweile hat die Autorin zwei Söhne und hat ihre Gedanken und Erfahrungen im Buch „Söhne großziehen als Feministin“ niedergeschrieben. Mit herCAREER spricht die Journalistin über patriarchale Prägungen bei Männern und Frauen und die Notwendigkeit eines neuen und erweiterten Männer- und Frauenbildes.

Shila Behjat: „Ich beobachte eher, dass die Mädchen sehr selbstbewusst und gut in allem sind und es Jungs dagegen an guten Vorbildern und Visionen fehlt.“

herCAREER: Dein Buch ist eine Auseinandersetzung mit den gängigen Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Fühlst du dich wohl, eine Frau zu sein?

Shila Behjat: Auf jeden Fall! Ich schreibe in meinem Buch, dass ich es liebe, eine Frau zu sein. Aber ich habe beim Schreiben gemerkt, dass ich Hemmungen habe, vermeintlich weibliche Eigenschaften als solche zu benennen. , eben weil sie weiblich konnotiert sind. Und das ist natürlich etwas, das uns Strukturen, in denen der Mann das Maß aller Dinge ist, gelehrt haben. Dabei ist Empathie gesellschaftlich gesehen eine immens wichtige Eigenschaft für das Zusammenleben.

herCAREER: Viele Frauen der Generationen X und Y sind patriarchalisch geprägt. Wer Karriere machen wollte, musste sich möglichst viele vermeintlich männliche Eigenschaften aneignen. Wie war das bei dir?

Ich bin absolut davon geprägt. Auch ich bin damit aufgewachsen, dass der Mann das Maß aller Dinge ist. Ins “Weibliche” abzudriften hatte da manchmal einen fast esoterischen Touch. Dieses Narrativ müssen wir ändern, wenn wir wollen, dass das Weibliche nicht mehr unbewusst mit „weniger wert“ oder „weniger erfolgreich“ assoziiert wird. Ich glaube, dass wir diese Räume dringend für einen Diskurs öffnen müssen – aber ich glaube auch, dass die Bereitschaft dazu da ist.

herCAREER: Du hast also Hoffnung?

Ich bin sehr hoffnungsvoll. Wir sind gerade in einer Phase, in der meines Erachtens so viele bemerkenswerte Frauen auf den Plan treten, die Lust haben, gemeinsam etwas zu verändern. Frauen, die verinnerlicht haben, dass man gemeinsam wächst und gestaltet. Es ist eine schöne Zeit, finde ich.

herCAREER: Du beziehst dich da auf erwachsene Frauen, richtig? In einem Interview hast du gesagt, dass die Mädchen im Alter deiner Söhne bereits ganz anders sozialisiert sind als deine Generation. Was beobachtest du da?

Sie verkörpern für mich das, was ich und meine Generation angestrebt haben. Sie stellen zum Beispiel gar nicht mehr in Frage, dass sie etwas gut können, und haben auch nicht mehr diesen großen Drang, sich und ihr Können zu beweisen. Es hat sich fast ins Gegenteil verkehrt: Ich beobachte eher, dass die Mädchen sehr selbstbewusst und gut in allem sind und es Jungs dagegen an guten Vorbildern und Visionen fehlt.

herCAREER: Wie, denkst du, wird es diesen jungen Frauen beim Berufseinstieg ergehen, wenn ihnen das System mit veralteten Strukturen die Tür vor der Nase zuschlägt?

Meiner Meinung nach werden sie sich mit diesen Strukturen in dieser Art und Weise nicht abfinden. In der Schule meiner Jungs sollten Klassensprecher gewählt werden, aber der Lehrer war nicht besonders motiviert. Zwei Jungs haben sich gemeldet und gesagt: ‚Wir machen das.‘ Der Lehrer hat das dankend angenommen, aber die Mädchen haben sich zusammengetan und protestiert: „Auf keinen Fall, wir machen eine richtige Wahl“. Tatsächlich sind dann zwei Mädchen Klassensprecherinnen geworden. Ich glaube, wir hätten damals vielleicht mit den Schultern gezuckt und gedacht: „Ok, dann macht das halt.“

herCAREER: „If you see it, you can be it“, heißt es. Ich warte noch auf eine kritische Masse von Vorbildern in Politik und Führung, die nicht nur Frauen sind, sondern auch frei von patriarchalen Leitplanken führen. Du wiederum wartest auf positive Vorbilder für Männlichkeit. Wie kommen wir da hin?

Das ist ein wichtiges Thema. Meine Söhne und andere Kinder erleben zunächst eine Zeit, in der fast nur Frauen für sie verantwortlich sind: ihre Mütter, Kindergärtnerinnen, Lehrerinnen. Ich beobachte auch, wie Kinder in diesen frühen Jahren binär kategorisiert und beurteilt werden. Die Jungen sind oft „problematisch“, die Mädchen meist die „fleißigen, braven“, positiven Beispiele. Später aber, im Berufsleben, sehen sie fast nur Männer in mächtigen, gestaltenden Positionen. Müssen wir nicht darüber nachdenken, was es für junge Männer bedeutet, so groß zu werden? So wie wir eine weibliche kritische Masse in den Führungsetagen brauchen, brauchen wir vielleicht auch eine männliche kritische Masse im frühpädagogischen Bereich.

herCAREER: Wo sind die Männer in dieser Diskussion? Oder anders gefragt: Warum kommt der Vater deiner Söhne in deinem Buch nicht vor?

Darüber habe ich während des Schreibens immer wieder nachgedacht. Ich habe mich entschieden, erst einmal festzuhalten, dass Frauen auch ohne Männerkomplett sind. Und dass meine Erzählung als Mutter von zwei Söhnen zunächst auch eine vollständige Erzählung ist. Jedes Mal, wenn ich den Impuls hatte, die Frage nach den Vätern zu stellen und vielleicht zu beantworten, habe ich innegehalten und gedacht: „Das ist jetzt wirklich deren Aufgabe! Das will ich nicht auch noch übernehmen.“

herCAREER: So laufen wir natürlich Gefahr, dass Jungs und jungen Männern weiterhin traditionelle Vorstellungen mitgegeben werden; dass man zu ihnen sagt: „Heul nicht!“ oder: „Du musst später eine Familie ernähren“. Dann müssen wieder die Partnerinnen, Schwestern und Kolleginnen den Spiegel hochhalten, sanfte Überzeugungsarbeit leisten und erklären, dass Männlichkeit auch andere Formen annehmen kann, oder?

Ja, das ist richtig. Frauen und nicht-binäre Menschen, die sich zwangsläufig schon viel länger mit diesen Dingen beschäftigen, gelingt es oft besser, diese Narrative zu erkennen und darauf aufmerksam zu machen. Diese Aufgabe bleibt uns vorerst erhalten.

herCAREER: Die Hoffnung wäre, dass die Generation deiner Söhne nicht mehr über Allyship reden muss, weil sie einfach Feministen sind. Du hast oben von den bemerkenswerten Frauen mit ihrem Willen zur Veränderung geschwärmt – bemerkenswerte Männer sind noch selten, oder?

Ich verstehe es einfach nicht: Warum sagen Männer so wenig? Warum gibt es keinen entschiedenen Kampf gegen Sexismus in dieser Bro-Kultur? Wenn man sich die Zahlen anschaut, wie viele Frauen in ihrem Leben Gewalt erfahren, dann kann jeder Mann davon ausgehen, dass er eine Frau kennt, die Gewalt erfahren hat. Also muss auch jeder Mann davon ausgehen, dass er einen anderen Mann kennt, der geschlechtsspezifische Gewalt ausgeübt hat. Das ist eine Aufgabe, der sich Männer stellen müssen. Und zwar dringend, denn auch Probleme wie Rassismus und Islamismus haben alle mit Gewalt gegen Frauen und Frauenfeindlichkeit zu tun.

herCAREER: Über neue Männlichkeit und Weiblichkeit zu sprechen öffnet große, komplexe Räume. Ganz konkret: Was versuchst du deinen Söhnen beizubringen?

Ich versuche sie zu ermutigen, ihre Einzigartigkeit zu bewahren. Denn das ist es, was sie mit auf die Welt bringen. Ich glaube, es ist wichtig, nicht alles als männlich oder weiblich zu sehen, sondern jeden Menschen in seiner Einzigartigkeit zu sehen – auch sich selbst. Ich beobachte das besonders bei Frauen, aber es wäre ein guter Ansatz für alle, sich nicht zu fragen: „Wer bin ich als Frau oder Mann?“, sondern vielmehr: „Wer bin ich als Mensch?“
Das Gespräch führte herCAREER-Redakteurin Kristina Appel.

Shila Behjat ist Journalistin und Publizistin mit deutsch-iranischen Wurzeln. Sie studierte Jura in Hamburg und Paris, war Korrespondentin in London, lebte als freie Journalistin in Indien und berichtete für das Frauenportal Aufeminin.com über Gleichstellung in der EU. Als Kulturredakteurin bei ARTE verantwortet sie nun Dokumentationen und neue Formate und war im Redaktionskollektiv mit „Tracks East“ für den Deutschen Fernsehpreis nominiert. Sie moderiert regelmäßig vor der Kamera und auf Veranstaltungen. Mit ihrer Familie lebt sie in Berlin.

Im Rahmen der herCAREER Expo spricht Shila Behjat am 17. Oktober beim Podcast-MeetUp mit der Journalistin und herCAREER-Redakteurin Kristina Appel über Weiblichkeit, Männlichkeit und ihr Buch „Söhne großziehen als Feministin“.

Bild: Shila Behjat Journalistin und Publizistin © Neda Rajabi

Quelle messe.rocks GmbH

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