Interview mit Philipp Erler, SVP Technology von Zalando
Rd. 60 Mrd. Euro geben die Deutschen im Jahr für Fashion, Beauty & Luxus aus. Ca. 9 Mrd. davon werden online investiert. Mit Otto und seinen Töchtern vorneweg und Amazon im Nacken hat es Berlins Vorzeige-Retailer Zalando nicht leicht im Online-Modehandel. Alexander Graf von der “Kassenzone” hat den Berliner Fashion-Anbieter schon mit Karstadt verglichen.
Neben frischem Kapital von der Börse machte das Ex-Rocket-Schlachtschiff in letzter Zeit vor allem durch seinen Curated-Shopping-Clon Zalon von sich reden. Doch es scheint sich richtig was zu bewegen im Mode-Universum. Thomas Keup hat auf dem Tech Open Air mit Zalandos Tech-Chef Philipp Erler gesprochen und war erstaunt.
In Eurer Werkhalle am Alexanderplatz tüfteln Produktmanager und Entwickler an der Zukunft von Zalando. Bietet Ihr eigentlich mehr als ein “Onlinewarenhaus”?
Hinter Zalando steckt weit mehr als ein reiner Online-Retailer. Wir sind innerhalb von nur sieben Jahren zur führenden Modeplattform in Europa geworden, bauen den Großteil unserer Systeme von Shop über Order-Processing und Payment bis hin zur Logistiksoftware selbst und bieten in jedem Markt ein lokalisiertes Einkaufserlebnis.
Wir haben damit eine hochkomplexe Infrastruktur entlang unserer gesamten Wertschöpfungskette geschaffen und diese möchten wir auch für andere öffnen. Deshalb entwickeln wir uns immer mehr hin zu einer Plattform, an die sich verschiedene Partner anbinden können – sei es eine Modemarke, eine App, ein Stylist oder ein Softwareunternehmen.
Plattform-Business-Modelle sind nichts Neues – auch Aliexpress, Amazon, Asos und Ebay bieten Marktplätze an. Warum sollte man mit Zalando “partnern”?
Unser Plattformgedanke umfasst weit mehr als einen Marktplatz. Wir sprechen von der Bereitstellung einer technischen Plattform, mit der wir neue Businessmodelle ermöglichen und Partnern komplexe Lösungen für verschiedene Fragestellungen im E-Commerce anbieten können. Ein Marktplatz kann so eine Lösung sein, ist aber bei weitem nicht die einzige. Und nicht zuletzt bieten wir unseren Partnern Zugang zu 15 europäischen Märkten, mehr als 15 Millionen aktiven Kunden und einer hoch professionellen Infrastruktur.
Zalando – genauer gesagt Zalando Tech – war einer der Hauptsponsoren auf dem diesjährigen Tech Open Air Berlin. Was habt Ihr auf dem Festival gesucht?
Zalando ist eines der erfolgreichsten Berliner Start-ups der letzten Jahre und wir möchten die Community, in der wir sozusagen groß geworden sind, unterstützen. Auf dem Tech Open Air haben wir Einblicke hinter die Zalando-Kulissen angeboten, ganz besonders in unseren Technologiebereich. Dabei war uns wichtig, dass wir einen guten Austausch zwischen Gründern und Techies schaffen.
Zalando hat rd. 800 Techis an Board, 50% Eurer IT’ler sind Software-Entwickler. Warum sucht Ihr bis zu 2.000 weitere Tech-Talente?
Mit unserer Plattform stellen wir Partnern ein offenes System zur Verfügung, ähnlich einem Legobaukasten, der aus einer Vielzahl an Modulen besteht. Wie dieser Baukasten genutzt und was konkret mit den Modulen gebaut wird, bestimmen unsere Partner aber weitestgehend selbst. Die Plattform muss mit all ihren Modulen deshalb äußerst stabil laufen und auf verschiedenste Anforderungen abgestimmt sein. Das ist eine komplexe technische Herausforderung, die wir nur mit den besten Tech-Talenten meistern können.
Ihr habt mit “Purpose”, “Autonomy” und “Mastery” einen weitgehenden Ansatz für Selbstständigkeit Eurer technischen Mitarbeiter. Was erwartet Ihr Euch davon?
Im letzten Jahr wurde deutlich: Wenn wir neue Ideen und Innovationen trotz unserer Größe weiterhin flexibel und schnell umsetzen wollen, muss die Entscheidungskompetenz und Verantwortung für eben diese direkt bei unseren Tech-Experten liegen.
Das Management hingegen sollte vor allem ein entsprechendes Umfeld dafür schaffen und die Experten sowohl fachlich als auch auf persönlicher Entwicklungsebene unterstützen. Aus diesen Überlegungen heraus ist unser Ansatz „Radical Agility“ entstanden, der auf den Prinzipien Purpose, Autonomy, Mastery aber auch Trust basiert und genau das in die Praxis umsetzt.
Ob Portal oder Apps, CMS oder Payment, ob Lager und Logistik – die meisten Eurer mehr als 500 Anwendungen sind selbst gebaut. In wiefern macht das Sinn?
Angefangen hat auch bei uns alles mit Magento. Allerdings haben wir in den ersten Jahren so schnell skaliert, dass wir schon bald nicht nur größter Kunde waren, sondern aus der Lösung „herausgewachsen“ sind. Uns wurde schnell klar, dass wir unserem Wachstum nur mit eigenentwickelten Systemen standhalten können, die maßgeschneidert für unsere konkreten Problemstellungen gebaut werden. Heute verstehen wir uns klar als Technologieunternehmen und wir nutzen unsere Anwendungen nicht nur selbst, sondern stellen sie über Open-Source-Angebote bewusst der Community bereit.
Ihr nutzt Open-Source-Angebote – von Datenbank bis Directory – und gebt Code in die Community zurück. Was versprecht Ihr Euch von quelloffenen Lösungen?
Viele Open-Source-Angebote sind deutlich getriebener als gekaufte Software dank einer großen, starken Community. Folglich sind auch die Innovationszyklen hier viel schneller und das ist gerade für Zalando ein enorm wichtiger Aspekt. Es gibt exzellente Open-Source-Software, die wir gerne und viel nutzen – dafür möchten wir auch richtig guten Code zurück in die Community geben. Das ist für uns einfach selbstverständlich und bringt letztlich das gesamte Business weiter.
Ende Mai seit Ihr mit einem eigenen Framework auf Amazon Web Services umgestiegen. Habt Ihr keine Angst, dass man Euch in die Karte gucken könnte?
Wir haben eine Lösung gesucht, um unseren Teams zu jeder Zeit und je nach Bedarf alle notwendigen Ressourcen schnell bereitzustellen und so unsere Innovationskraft weiter voranzutreiben. Wir benötigen ein Set aus verschiedensten Tools und Services in einer Geschwindigkeit, wie wir sie mit einer eigenen Cloud-Lösung nicht anbieten können.
AWS hat für uns das beste Komplettpaket, ist weit entwickelt und läuft stabil – diese Vorteile haben einfach klar überwogen. Außerdem können wir uns anschauen, wie andere Unternehmen AWS nutzen. Hier gibt es einen guten und sehr wichtigen Austausch.
In Eurem Corporate-Video fokussiert Ihr auf “Smart Shopping” als Ziel Eurer Tech-Aktivitäten. Wie könnte das in der Zukunft ganz konkret aussehen?
Für uns ging es schon immer darum, Kunden einfache Lösungen für Fragestellungen beim Modeeinkauf anzubieten. Vor einigen Jahren konnten wir den Markt mit einem großen Sortiment und dem damals einzigartigen Serviceversprechen von kostenlosem Versand, Rückversand und 100 Tagen Rückgaberecht revolutionieren. Heute ist das weitgehend Standard, die Anforderungen unserer Kunden an E-Commerce sind komplexer geworden und es geht vielmehr darum, ein maßgeschneidertes Angebot zu schaffen.
Dabei spielt Technologie die entscheidende Rolle und wir glauben, dass unsere Plattform hier viele spannende Modelle ermöglichen wird. Wenn in Zukunft eine Kundin eine Handtasche an einer Bloggerin sieht, die sie dringend für ein Event am Abend benötigt, wollen wir ihr erster Ansprechpartner sein – wir kennen das richtige Taschenmodell, wissen wo das Produkt verfügbar ist und können es unserer Kundin innerhalb von wenigen Stunden ins Büro liefern lassen.
Vielen Dank für die spannenden Insights!
Das Interview führte Thomas Keup.
Mehr zu Zalando in WTF hier auf Gründermetropole Berlin:
Ein Reformhaus, ein Moderiese & die Zukunft des E-Commerce.
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