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Wir brauchen mehr sichtbare weibliche Vorbilder

In einem interdisziplinären Forschungsteam widmet sich Clara Meyer zu Altenschildesche der Unsichtbarkeit von Innovatorinnen. Im Gespräch erklärt sie, warum der gängige Innovationsbegriff sehr eng gefasst ist, wieso das ein Nachteil für Frauen ist und was wir tun können, um mehr innovative Frauen sichtbar zu machen.

„Wir können es uns schlicht nicht leisten, auf das Potential von Frauen zu verzichten.“

herCAREER: Clara, du forschst zur Unsichtbarkeit von Innovatorinnen, also innovativer Frauen, in den Medien. Was zeichnet Innovatorinnen aus?

Clara Meyer zu Altenschildesche: Innovatorinnen sind Frauen, aus deren Arbeit sich künftig oder aktuell Fortschritte ergeben – egal ob im unternehmerischen, technologischen, wissenschaftlichen, gesellschaftlichen oder sozialen Bereich. In unserer Forschung ist der Innovationsbegriff sehr breit. Oftmals werden Innovationen mit technischen Neuerungen assoziiert. Wir berücksichtigen aber etwa auch Innovationen in Dienstleistungs- und sozialen Bereichen, in denen Frauen verstärkt vertreten sind.

herCAREER: Sie sind nicht so zahlreich vertreten wie ihre männlichen Kollegen, ist das richtig?

Clara Meyer zu Altenschildesche: Frauen sind in den als innovativ betrachteten Bereichen deutlich unterrepräsentiert – etwa Gründerinnen, Professorinnen an Hochschulen oder Patentanmelderinnen. Ein Beispiel: Zwischen 1978 und 2019 lag der Frauenanteil bei Patentanmelderinnen bei 10 Prozent. 2021 lag der Anteil von Frauen bei Start-up-Gründungen bei 17,7 Prozent, 2022 bei 20,3 Prozent. Das heißt, wir machen Fortschritte, es ist aber noch deutlich Luft nach oben.

herCAREER: Dazu kommt, dass sie nicht so sichtbar sind?

Clara Meyer zu Altenschildesche: Genau, sie und ihre Leistungen sind weniger sichtbar, etwa in den Medien, bei Preisverleihungen oder auch innerhalb der Unternehmen. Auf deutschen Veranstaltungen liegt der Sprecherinnen-Anteil bei unter 25 Prozent. Schaut man sich den Nobel-Preis an, sind 6,4 Prozent aller Preisträger:innen weiblich. In TV-Informationsformaten befragte Expert:innen sind zu 26 Prozent weiblich.

herCAREER: Welche Gründe gibt es dafür?

Clara Meyer zu Altenschildesche: Hierzu habe ich in einem interdisziplinären Team drei Jahre lang geforscht. Es ist leider nicht so, dass wir nur einen Grund benennen könnten. Die Gründe sind vielschichtig und komplex. Nur ein Beispiel: Unsere Untersuchungen haben bestätigt, dass die Vorstellungen, die von Innovation vorherrschen, auf bestimmten Aspekten des Konstrukts von Männlichkeit beruhen und sehr technisch geprägt sind.

herCAREER: Welche Auswirkungen hat das?

Clara Meyer zu Altenschildesche: Dadurch haben es Frauen, die im Dienstleistungssektor oder im sozialen Bereich innovativ vertreten sind, es schon von Anfang an schwieriger, als innovativ wahrgenommen zu werden. So werden sie oft auch nicht von Medien als Innovatorinnen erkannt und etwa als Expertin angefragt. In der Wirtschaftsförderung etwa beeinflussen solche Stereotype auch, wohin Fördergelder fließen und wer mit Preisen ausgezeichnet wird.

herCAREER: Kannst du ein Beispiel nennen für eine Innovation im sozialen Bereich?

Clara Meyer zu Altenschildesche: Eine Innovatorin in unserer Forschungsregion hat den Verein “Tausche Bildung für Wohnen” mit dem Ziel gegründet, Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit zu stärken. Junge Menschen, die eine Ausbildung machen oder studieren und sich eigentlich keine Wohnung finanzieren könnten, helfen als Bildungspat:innen Kindern in strukturell benachteiligten Stadtteilen, geben zum Beispiel Nachhilfe. Dafür können sie mietfrei wohnen. Das Projekt expandiert mittlerweile in weitere Regionen.

herCAREER: Welche innovative Frau hat es geschafft, sichtbar zu sein?

Clara Meyer zu Altenschildesche: Mai Thi Nguyen-Kim ist mit ihrem maiLab ein gutes Beispiel, genauso Tijen Onaran. Sie sind sichtbar mit dem, was sie tun, also Wissenschaft und Business.

herCAREER: Abgesehen von einer gleichberechtigten Repräsentation: Wieso ist es ein Problem, wenn innovative Frauen in der Masse ihrer männlichen Kollegen untergehen?

Clara Meyer zu Altenschildesche: Wir hören und lesen jeden Tag von Herausforderungen, die unsere gesamte Gesellschaft betreffen. Wenn wir so viele Innovationen brauchen, um etwa dem Klimawandel oder dem demografischen Wandel zu begegnen, dann macht es keinen Sinn, dass wir nur das Potential der Hälfte der Bevölkerung nutzen. Wir können es uns schlicht nicht leisten, auf das Potential von Frauen zu verzichten. Die Sichtbarkeit ist hier ein wichtiger Hebel. Wir brauchen mehr sichtbare weibliche Vorbilder. Mädchen und junge Frauen werden vor allem durch sie ermutigt: You can´t be, what you can´t see.

herCAREER: Basierend auf deiner Forschung: Was rätst du innovativen Frauen – gerade den leiseren?

Clara Meyer zu Altenschildesche: Der erste Schritt ist, sich seiner eigenen Expertise bewusst zu werden. Viele Frauen, die wir für unsere Forschung angefragt haben, sagten: Innovatorin oder Expertin? Das bin doch nicht ich! Das Selbstverständnis hat direkten Einfluss auf den eigenen Auftritt – und nur, wenn man selbst etwas verstanden hat, kann man es anderen gegenüber auch sichtbar machen. Selbstreflexion ist der erste Schritt, danach kann man sich auch Themen wie Personal Branding widmen.

herCAREER: Und was muss sich strukturell ändern?

Clara Meyer zu Altenschildesche: Es ist wichtig, dass sich nicht nur einzelne Personen für mehr Sichtbarkeit einsetzen, sondern auch Institutionen wie Hochschulen und Ministerien. Wir haben mit unserem Projekt “Westfälischen Erfinderinnen” in einer Förderrichtlinie des BMBF 71 Innovatorinnen aus dem Ruhrgebiet und dem Münsterland ausfindig gemacht und ihre Geschichte erzählt. Das ist ein Anfang.

Das Interview führte herCAREER-Chefredakteurin Julia Hägele.

Bild@ Clara Meyer zu Altenschildesche

Quelle messe.rocks GmbH

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