Forschungsprojekt entwickelt Aufmerksamkeits- und Aktivitätenassistenten für das automatisierte Fahren
• Monotonie während der Fahrt durchbrechen, Aufmerksamkeit erhalten, Unfälle vermeiden.
• Perfektes Zusammenspiel von Fahrer und Lastwagen beim automatisierten Fahren gewährleisten.
• Akzeptanz von Automatisierung unter Lkw-Fahrern steigern.
• Bosch als Konsortialführer im öffentlich geförderten Projekt mit den Partnern Volkswagen, MAN Truck & Bus, Universität Stuttgart, Hochschule der Medien, Spiegel Institut und CanControls.
Stuttgart – Lastwagen sind das Rückgrat der Logistik. Drei Viertel aller Güter werden in Deutschland über die Straße transportiert. Zeitdruck, lange Arbeitszeiten und monotones Kolonnenfahren gehören zum Alltag hinter dem Lkw-Steuer. Ist der Fahrer abgelenkt, übermüdet oder reagiert zu spät, können die Folgen schwerwiegend sein. Um Unfälle und Gefahrensituationen zu vermeiden, sind automatisierte Fahrfunktionen ein Schlüssel. Sie warnen und unterstützen den Fahrer in kritischen Situationen und können zunehmend eintönige und ermüdende Aufgaben übernehmen. Gleichzeitig bleibt auch auf den nächsten Stufen der Automatisierung der Mensch unersetzlich, muss bei Bedarf das Steuer übernehmen können. Wie das Zusammenspiel von Fahrer und Lkw möglichst perfekt aufeinander abgestimmt werden kann, damit hat sich das Forschungsprojekt „Technologie für automatisiertes Fahren nutzergerecht optimiert“ (Tango) in den vergangenen dreieinhalb Jahren beschäftigt.
Dabei lag der Fokus auf Lösungen für das teil- und bedingt automatisierte Fahren (SAE Level-2 und SAE Level-3). Entstanden ist der Prototyp für einen „Aufmerksamkeits- und Aktivitätenassistenten“ – ein virtueller Beifahrer, um die Aufmerksamkeit des Fahrers zu erhalten, Müdigkeit entgegenzuwirken und das Fahren so angenehm wie möglich zu gestalten. Neben Bosch als Konsortialführer waren Volkswagen, MAN Truck & Bus, die Universität Stuttgart, die Hochschule der Medien, das Spiegel Institut und CanControls an dem Projekt beteiligt. Es wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie mit rund fünf Millionen Euro gefördert.
Assistenzlevel, Fahrsituation und Zustand des Fahrers im Blick
„Manuelle und automatisierte Fahrphasen lösen sich künftig ab, Fahrzeug und Fahrer übergeben sich das Lenkrad sozusagen wie bei einem Staffellauf“, erläutert Bosch-Projektleiter Michael Schulz. „Beim teilautomatisierten Fahren nach SAE Level 2 muss der Fahrer jederzeit, beim bedingt automatisierten Fahren nach SAE Level 3 nach Aufforderung übernehmen können. Das Ziel ist, den Fahrer immer in einem Zustand der optimalen Beanspruchung zu halten, damit er dazu in der Lage ist.“
Hier kommt der Aufmerksamkeits- und Aktivitätenassistent ins Spiel. Abhängig vom Assistenzlevel, dem Zustand des Fahrers und davon, was die aktuelle Fahrsituation zulässt, kann er dem Fahrer unterschiedliche Nebenaufgaben zur Verfügung stellen: von Musik und Hörbücher hören über Mails lesen, chatten und Nachrichten schreiben bis hin zu Filme schauen, Tages- und Routenplanung vornehmen und Fitnessübungen machen. Das System muss dazu nicht nur die jeweilige Fahrsituation zuverlässig erkennen, sondern auch den aktuellen Zustand des Fahrers wahrnehmen und richtig interpretieren. Zum Beispiel, ob er müde oder abgelenkt ist.
Dazu wurden im Forschungsprojekt Sensoren zur Innenraumbeobachtung eingesetzt und mit Methoden der künstlichen Intelligenz kombiniert. Kameras erkennen, ob dem Fahrer die Augen zufallen, er sehr häufig blinzelt, die Fahrbahn aus dem Blick verliert oder sein Kopf vielleicht sogar vor Müdigkeit zur Seite kippt. Intelligente Algorithmen bewerten die Bilder, interpretieren sie und leiten bei Bedarf Gegenmaßnahmen ein: von einer Warnung über ein Angebot zur Nebenbeschäftigung bis hin zum aktiven Eingreifen, beispielsweise Abbremsen.
Bedürfnisse des Nutzers im Mittelpunkt der Entwicklung
Um den Ursachen für Übermüdung und Ablenkung auf den Grund zu gehen und Anforderungen an den Aufmerksamkeits- und Aktivitätenassistenten genau zu erfassen, haben die Forscher Lkw-Fahrer bei ihren Touren begleitet, Interviews zu ihren Erfahrungen geführt, Online-Tagebücher ausgewertet und die Zwischenstufen der Entwicklung immer wieder mit Probanden abgeglichen und überarbeitet. Dabei kamen Fahrsimulatoren ebenso zum Einsatz wie Testfahrten im Versuchsfahrzeug und sogar ein wenig Zauberei: In einem Rechtslenker-Lkw wurden zusätzlich zur Fahrer- auch die Beifahrerseite mit Lenkrad, Bremse, Gaspedal und allen erforderlichen Bedien- und Anzeigeelemente ausgestattet und die beiden Plätze mit einem Sichtschutz getrennt. Mit diesem „Wizard of Oz“ genannten Ansatz konnte die Automatisierungsfunktion simuliert und das Nutzerverhalten unter realitätsnahen Bedingungen erforscht werden.
„Wir haben den Nutzer und seine Anforderungen ganz bewusst ins Zentrum unserer Arbeit gerückt“, sagt Schulz. Ausgangspunkt war, dass automatisiertes Fahren unter Lkw-Fahrern häufig auf Vorbehalte stößt, da die Technologie mit Bevormundung und Sorgen um den eigenen Arbeitsplatz verbunden wird. In der Folge werden schon aktuelle Assistenzsysteme nicht immer genutzt oder auch bewusst abgeschaltet. Als das stärkste Argument für die zunehmende Automatisierung wurde im Projekt der Sicherheitsgewinn ermittelt. Aber auch Komfort sowie entspannteres Fahren und Ankommen spielen eine Rolle.
Nutzung der Ergebnisse für weitere Entwicklung – auch im Pkw
Ein besonderes Augenmerk lag in diesem Zusammenhang auf dem Human-Machine-Interface (HMI). „Das Fahrzeug muss künftig mit seinem Fahrer interagieren, zu seinem Partner werden“, sagt Schulz. „Ein perfektes Zusammenspiel im Team Fahrer-Fahrzeug erfordert eine intuitive, einladende und einfache Bedienung.“ Entstanden ist in dem Prototyp ein aus mehreren Displays bestehendes Bedienfeld, das visuelle, akustische und haptische Elemente miteinander kombiniert und den Aufmerksamkeits- und Aktivitätenassistenten als Avatar visualisiert. Die Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt fließen in die weitere Entwicklung in Bereichen wie Innenraumbeobachtung, automatisiertes Fahren und Entertainment-Systeme ein. Sie lassen sich nicht nur auf Lkw, sondern auch Pkw anwenden – um auch dort die Sicherheit im Straßenverkehr weiter zu erhöhen.