StartExpertWer besitzt die Zukunft? Ein Blick hinter Plattformen und die Crowd.

Wer besitzt die Zukunft? Ein Blick hinter Plattformen und die Crowd.

Interview mit Dr. Florian Alexander Schmidt, Experte für Crowdsourcing und Crowdwork.

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Florian Alexander Schmidt ist Kommunikationsdesigner, Wissenschaftler und Journalist. In seiner Arbeit beschäftigt er sich mit dem Netz – und was es für unser Leben bedeutet.  Welchen Einfluss hat das Web auf unsere Arbeit und auf Geschäftsmodelle – auch von Startups? Thomas Keup hat ihn auf dem Unit Festival gehört – und wollte mehr wissen.

Ist ein Online-Produkt kostenlos, bezahlen wir mit unseren Daten. Experten gehen noch weiter: Wir sind nicht mehr Kunden, wir selbst sind das Produkt. Wie siehst Du das?

Da kann ich nur zustimmen. Tatsächlich würde ich es vorziehen, für Netzwerkdienste mit Geld zu bezahlen und dafür mehr Kontrolle über meine Daten zu bekommen. Leider sehen die meisten Nutzer das anders. Um Facebook und all die anderen Sozialen Netzwerke, bei denen man Profile anlegen muss und die Kommunikation innerhalb der Datensilos stattfindet, mache ich deshalb einen großen Bogen. Trotz ihres schlechten Rufs halte ich an der E-Mail fest, wobei die Verbreitung von Google Mail leider dazu führt, dass die eigenen E-Mails auch dann gespeichert und ausgewertet werden, wenn nur das Gegenüber den Dienst nutzt.

Das Internet ist heterarchisch, nicht hierarchisch aufgebaut. Dezentrale Netzwerke stellen das Wirtschaftssystem in Frage. Wie funktionieren dann kommerzielle Web-Plattformen?

Rein technisch betrachtet ist das Netz zwar dezentral aufgebaut, doch aus Bequemlichkeit und aufgrund des bekannten Netzwerk-Effekts haben sich über die letzten Jahre doch – entgegen früherer Hoffnungen – starke Monopole herausgebildet. Als Nutzer will man da sein, wo alle anderen sind. Dazu gibt es eine beeindruckende Infografik der amerikanischen Breitbandanbieter. Wir dürfen über das Netz von 2015 nicht sprechen, als sei es das von 2007.

Du sprichst von „Plattform-Kapitalismus” und führst als Beispiel das Prinzip des Crowdsourcings an. Arbeiten wir unterm Strich alle für Online- oder Social Networks?

Der Begriff „Plattform-Kapitalismus” wurde 2014 von Prof. Martin Kenney geprägt und ist von verschieden Leuten – z.B. Sascha Lobo – aufgegriffen worden. Ich halte ihn für äußerst nützlich, weil er die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung der Infrastruktur und deren kommerzielle Ausrichtung lenkt. Wir haben es immer mehr mit Systemen zu tun, denen es nur vordergründig um die Serviceleistung für den Nutzer geht, die aber so gestaltet sind, dass sie von den Nutzern das Maximum an persönlichen Daten und/oder Arbeitsleistung abschöpfen.

Um so größer die Monopolstellung der Plattform ist, um so stärker kann sie gegen die Interessen der Nutzer handeln. Man muss allerdings unterscheiden zwischen Systemen, bei denen die Arbeit der Nutzer als Nebeneffekt geleistet wird (z.B. Facebook) und solchen, die sich explizit um die Auslagerung von Arbeit drehen, wie es bei Crowdsourcing der Fall ist. Die großen Plattformen stellen sich gerne als neutrale Service-Provider dar, doch sie greifen viel stärker in die Abläufe zwischen Nutzern ein, als man das bei einem Web-Hoster oder E-Mail-Provider akzeptieren würde.

Die Plattformen sind zur Schnittstelle geworden, doch sie lesen, extrahieren, manipulieren und zensieren unsere Datenströme oder erheben – im Fall von Crowdsourcing – mitunter extrem hohe prozentuale Gebühren auf Transaktionen, die durch sie abgewickelt werden. Kommerzielles Crowdsourcing – also Crowdwork – ist für mich eine spezielle und sehr wichtige Facette des sehr viel größeren Plattform-Phänomens.

Wir alle kennen Beispiele für Crowdsourcing. Aber welches Risiko bringen Plattformen, wie 99 Designs für Grafik, Codingpeople für Software oder Textbroker für Beiträge?

99 Designs ist ein sehr gutes Beispiel, um einige der genannten Probleme zu illustrieren. Die Plattform behauptet, etwa eine Million Designer als Nutzer zu haben. Ein großer Teil davon sind Karteileichen, aber es werden jeden Monat mehrere Millionen Dollar umgesetzt. Die Plattform ist auch deshalb so groß, weil sie mit über 40 Millionen Dollar Venture Capital im Rücken zahlreiche kleinere Plattformen aufkaufen konnte. Wir sehen also eine starke Konsolidierung bzw. die Tendenz zur  Monopolbildung.

Für die Ausrichtung von Designwettbewerben behält die Plattform zwischen 35 und 50% der von Kunden gezahlten Rechnungsbeträge ein. Diese Information wird sowohl Kunden als auch Designern gegenüber bewusst verschleiert – dass muss man sich selbst ausrechnen. Pro Wettbewerb werden an die Designer im Schnitt 250 US Dollar ausgezahlt. Die Chance zu gewinnen, das heißt für bereits geleistete Arbeit bezahlt zu werden, ist etwa eins zu hundert. Der durchschnittliche Tauschwert pro Logo liegt also bei $2,50.

Seit März 2015 verlangt 99 Designs zudem, dass alle Folgeaufträge, die sich aus einem Wettbewerb in den folgenden 2 Jahren ergeben, weiter durch die Plattform abgewickelt werden müssen – und 99 Designs hält weiterhin die Hand auf. Wenn man aus diesen Bedingungen heraus will, muss man sich für $ 2500 von 99 Designs freikaufen. Gleichzeitig spricht sich 99 Designs in den Nutzungsbedingungen von jeglicher Haftbarkeit, z.B. in Bezug auf Urheberrechtsverletzungen, frei. Sämtliche Risiken sind auf die Nutzer ausgelagert. Auf anderen Crowd-Plattformen für Contest-basierte Kreativarbeit, sei es Schreiben oder Programmieren, sind die Bedingungen oft ähnlich.

Anderen zu helfen, ist für uns selbstverständlich. Aber wie bekommt man Menschen dazu, freiwillig und sogar nur für imaginäre Punkte wertvolle Arbeit zu leisten?

Zunächst ist es wichtig, gemeinnützige Projekte von kommerzieller Crowdarbeit zu trennen. Wikipedia, Open Streetmap und ähnliche commons-based peer-production-Seiten folgen dem Prinzip „many-to-many”. Crowdwork hingegen ist immer „many-to-few”. Will man die Arbeit anderer eigennützig abschöpfen, erfolgt das häufig nach dem Tom-Sawyer-Prinzip: Man muss die Arbeit nur hinreichend spannend, kreativ und wichtig erscheinen lassen, dann wollen Leute auch ohne Entlohnung mitmachen. Mittels Gamification – also Bestenlisten, Auszeichnungen und Abzeichen – lässt sich der Ehrgeiz und Wetteifer der Arbeitskräfte anstacheln.

Gabe Zichermann – einer der fragwürdigsten Fürsprecher von Gamification für kommerzielle Zwecke – spricht ganz offen davon, dass das Ziel beim Design solcher Belohnungssysteme sei, dass die betroffenen „Nutzer” komplett den Bezug zwischen dem Wert der verteilten Gummipunkte und tatsächlichem Gegenwert verlieren. Viele Menschen, und da schließe ich mich ein, haben großen Spaß am Zocken. Es ist jedoch perfide, wenn dieser Spieltrieb gezielt zur Manipulation eingesetzt wird.

“Crowd” ist Massenpsychologie. Du nennst die Psychologen Gustave Le Bon und Sigmund Freud als Quellen. Was steckt hinter der “Crowd” und ihrer Wirkung?

Das interessante am Crowd-Begriff ist, dass er das letzte Mal Ende des 19. Jahrhunderts sehr lebhaft diskutiert wurde: Damals wollten Leute wie Le Bon, später Freud und vor allem sein Neffe Edward Bernays die Psychologie der Massen verstehen, um diese beeinflussen zu können. Erst ging es um politische Einflussnahme, dann um kommerzielle. Die Crowd galt als impulsiv, primitiv und destruktiv, als gefährlicher Mob, aber auch als leicht beeinflussbar. Seit Anfang des 21. Jahrhunderts erlebt der Crowd-Begriff eine unglaubliche Neubelebung, jetzt jedoch mit anderen Vorzeichen.

Seit James Surowieckis Buch „The Wisdom of Crowds” von 2004 gilt die Crowd als kreativ, produktiv und sogar weise. Früher war der Crowd-Begriff geprägt von Menschenansammlungen auf der Straße, heute sind es einzelne, aber miteinander vernetze Menschen an Computern. Die “neue Crowd” erscheint intelligenter, friedfertiger und nützlicher, doch sie hat mitunter auch an Stärke eingebüßt. Stellt man sich eine Demonstration vor, so gewinnt diese an Macht mit jedem Menschen der hinzu kommt. Es gibt typischerweise ein gemeinsames Ziel, zu dem man sich durch physische Präsenz im Hier und Jetzt bekennt.

Auch online gibt es Beispiele, in denen Mitglieder einer Crowd ihre Kräfte bündeln, im Crowdfunding zum Beispiel. Wenn es jedoch um die Organisation von Arbeit als Wettbewerb geht (wie bei 99 Designs), ist jeder Neuzugang potentiell Konkurrenz, die bereit ist, die Aufgabe noch billiger zu erledigen oder sogar nur für Gummipunkte. Im Crowdsourcing ziehen die Arbeiter nicht an einem Strang, sie lassen sich gegeneinander ausspielen. Gewinner sind die Plattformen, und bis zu einem gewissen Grad die Kunden. Die Erosion von menschenwürdiger Entlohnung und qualitativer Arbeit ist letztlich jedoch auch nicht im Interesse von Crowdsourcing-Kunden.

Vielen Dank für den spannenden Einblick!

Das Interview führte Thomas Keup.

Über Florian Alexander Schmidt:

Florian Alexander Schmidt hat gerade am Royal College of Art in London seine Doktorarbeit über das Design von Crowdsourcing fertiggestellt. Zur Zeit entwickelt er zusammen mit der IG Metall die Seite FairCrowdWork.org, die Informationen für Crowdarbeiter bereitstellt. Er war als Redakteur an der Konzeption des Buches „Crowdwork – Zurück in die Zukunft?” beteiligt. Er unterrichtet als Vertretungsprofessor für Designtheorie an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Dresden.

 

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