Wir treffen Entscheidungen – jeden Tag, jede Stunde, jeden Moment. Manchmal brauchen wir nur Sekunden, um zu entscheiden. Manchmal grübeln wir Stunden und Tage – und quälen uns zu einem Ergebnis. Warum fallen uns Entscheidungen manchmal so leicht? Und warum kommen wir manchmal nur schwer ans Ziel?
Inka Kretschmer ist langjähriger Coach und zu Hause in der Berliner Startup-Szene. Sie ist Profi in Sachen Intuition und gute Entscheidungen. Unser “Hobby-Coach” Thomas Keup wollte mehr wissen – und bekam tiefe Einblicke in unseren Hinterkopf. Eine Reise in unser Unterbewusstsein und wie wir es nutzen können:
Intuition ist seit einiger Zeit eines der Schlagworte im Management. Du bist langjähriger Coach und Trainerin. Was ist Intuition aus professioneller Sicht?
Intuition ist die Fähigkeit, etwas instinktiv zu verstehen, ohne dabei auf reflektiertes Denken zurückgreifen zu müssen. Manche bezeichnen dies auch als Bauchgefühl. Wir greifen vor allem auf unsere Intuition zurück, wenn wir keine Zeit haben, eine Analyse zu betreiben, jedes Pro und Kontra lange abzuwägen oder auch wenn wir einfach nicht alle Informationen zur Hand haben oder haben können. Gerade in der Gründerszene gehört ja viel Mut und Intuition dazu, wenn ich von einer Idee für ein neues Produkt überzeugt bin und es auf den Markt bringen will.
Auch im Umgang mit anderen Menschen ist es oft die Intuition, die uns dabei leitet, so dass wir instinktiv einschätzen, wie wir den anderen zu ‘lesen’ haben. Körpersprache und Mimik wird oft nicht bewusst, aber eher intuitiv aufgenommen. Wenn ich zum Beispiel in ein Zimmer komme und sofort weiß, dass ‘dicke Luft’ herrscht, greife ich in der Regel auf meine Intuition zurück.
Instinkt scheint in vielen Bereichen der Wirtschaft und des Lebens verpönt zu sein. Gibt es bekannte Unternehmer, die auch auf Ihr Bauchgefühl hören und damit erfolgreich sind?
Ja, es wird viel darüber diskutiert. Allerdings stehen sehr viele, sehr erfolgreiche Unternehmer offen zu ihrer Intuition. Interessanterweise auch viele von denen, die eher als Kopfmensch gesehen werden. Ein gutes Beispiel ist der Apple-Chef und Ingenieur Tim Cook, der von sich selbst behauptet, dass er zwar sehr analytisch denkt und dennoch die wichtigen Entscheidungen seines Lebens intuitiv entscheidet. Das galt auch bei seinem Wechsel zu Apple. Sein Vorgänger Steve Jobs betonte ebenfalls immer, man solle seiner Intuition folgen.
Eine Studie des Magazins Harvard Business Review hat vor ein paar Jahren festgestellt, dass bei 85% der befragten CEOs Intuition ein großer, wenn nicht sogar der ausschlaggebende Faktor ihrer Entscheidungsfindung ist. Das bedeutet nicht, dass diese Entscheidungen immer richtig oder besser sind. Wer seine Intuition benutzt, agiert jedoch oft schneller und kann dadurch Fehler auch schneller korrigieren, als jemand, der sehr lange braucht, um überhaupt zu einer Entscheidung zu kommen.
Lass uns ein wenig hinter die Kulissen schauen: Intuition hat eine Menge mit unserem Unterbewusstsein zu tun. Wie kann ich mir unser Unterbewusstsein ganz praktisch vorstellen?
Am einfachsten ist es, sich das Unterbewusstsein als ein riesengroßen Aktenschrank oder als Dateiablage vorzustellen; mit unendlich vielen Ablagefächern. Das menschliche Hirn kann nämlich nur vier bis sieben Informationseinheiten pro Sekunde bewusst aufnehmen. Unser Nervensystem wird allerdings zur gleichen Zeit mit mehreren Millionen solcher Informationen bombardiert – mit allem, was unsere Sinne so aufnehmen können. Trotzdem wird ein Großsteil der Informationen absorbiert – und zwar von unserem Unterbewusstsein. Um beim Aktenschrank zu bleiben: Da wird alles in die Ablagefächer hineinsortiert – möglichst schnell und nicht wirklich sehr differenziert.
Die Information ist also irgendwo da, aber nicht für mich bewusst zugreifbar. Jetzt kommt die Intuition ins Spiel. Neurologen haben festgestellt, dass wir am intuitivsten sind, wenn unser Hirn Alpha-Wellen produziert. In unserem normalen geschäftigen Alltag produzieren wir dagegen hauptsächlich Beta-Wellen. Die etwas langsameren Alpha-Wellen kennen wir vor allem von der Meditation oder auch vom Musikhören. Interessanterweise reicht allein schon das Schließen der Augen, um die Produktion unserer Alpha-Wellen anzukurbeln.
Wenn wir beim Unterbewusstsein sind, sind wir auch bei unserem Bewusstsein und bei uns selbst. Welche Faktoren sind aus Deiner Sicht wichtig, um Intuition zu verstehen?
Der Mensch ist von Natur aus so angelegt, dass er verstehen und Muster erkennen will. Das heißt: Wann immer ich in einer neuen Situation bin, wird mein Gehirn versuchen, diesem die richtige Bedeutung zuordnen zu können. Dazu greifen wir auch ins Unterbewusstsein. Mit Hilfe unserer Intuition ziehen wir dann Schlüsse, deren rationalen Denkablauf wir nicht unbedingt nachvollziehen können, die aber trotzdem auf einer gewissen Logik basiert. Nur das wir dazu mentale Shortcuts benutzen.
Intuition ist also nichts mystisches, keine höhere Gewalt oder Eingebung. Es ist einfach ein rasanter Prozess im Unterbewusstsein, wo passende Informationen und Muster in den gesammelten Erfahrungen gesucht und interpretiert werden. Je mehr Erfahrung und Wissen ich in einem Bereich habe, umso besser kann meine Intuition dadurch auch agieren. Der Psychologe Gary Klein hat zu diesem Thema lange Jahre mit sehr erfahrenen Feuerwehrleuten zusammen gearbeitet und dabei bewiesen, dass gerade in sehr zeitkritischen Rettungsituationen Entscheidungen, die um Leben und Tod gehen, meist rein intuitiv getroffen werden.
Von der Theorie zur Praxis: Wann und wie haben wir die größte Chance, unsere Intuition zu nutzen, um persönliche oder professionelle Entscheidungen zu treffen?
Wichtig ist, dass man in solchen Momenten ganz bei sich und mit allen Sinnen präsent ist – sich selbst und die eigenen Emotionen und Ängste gut kennt. Denn oft wissen wir nicht, ob wir unserer Intuition wirklich trauen können. Vielleicht ist es ja nur die Angst vor dem Ungewissen, die uns zurückhält? Oder bin ich gerade sehr verärgert über jemanden und möchte dem eigentlich nur eins auswischen? Bin ich unter Zeitdruck, gestresst? In solchen Momenten hilft es innezuhalten und in sich zu horchen.
Darum ist es grundsätzlich sehr wichtig, sich selbst und wie man tickt gut zu verstehen. Ich rate Führungskräften im Coaching dazu, die eigene emotionale Intelligenz zu trainieren, nicht nur durch Selbstreflexion, sondern auch durch das Einholen von regelmäßigem Feedback. Ich empfehle gern alle Tätigkeiten, die helfen, dass Unterbewusstsein anzuzapfen, also alles, was Alpha-Gehirnwellen produziert: Meditation, Visualisierung, Atemübungen, Musik hören, Spazierengehen, Jogging, Musizieren, Malen …
Manchmal liegen wir daneben mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus. Wann sollten wir mit dem Bauchgefühl vorsichtig sein und besser auf der Grundlage von Fakten Entscheidungen treffen?
Wie gesagt, wir müssen aufpassen, wenn unsere Emotionen oder Ängste überhand nehmen. Gerade im Umgang mit anderen Menschen können gewisse Voreingenommenheiten uns negativ beeinflussen. Vielleicht erinnert mich die andere Person an einen Lehrer, den ich mal vor langer Zeit hatte. Das mag mir nicht einmal bewusst sein und doch kann es mein Verhalten gegenüber diesem Menschen beeinträchtigen.
Auch bei einer sehr komplexen Sachlage mit vielen verschiedenen wichtigen Faktoren oder in einem Gebiet, in dem ich mich sehr wenig auskenne, sollte ich besonders vorsichtig sein. Es lohnt sich immer, die Entscheidungen, die die Intuition einem bringen, nachzuarbeiten, zu hinterfragen und regelmäßige Bestandsaufnahme zu machen, so dass man gegebenenfalls den Kurs ändern kann.
Zu guter Letzt: Kannst Du unseren Leser die wichtigsten Punkte nennen, um intuitiv erfolgreich Entscheidungen zu treffen.
Übt! Intuition kann man tatsächlich üben. Achtet darauf, wie Ihr Eure Entscheidungen im Alltag trefft, was in Euch vorgeht – auch körperlich. Viele berichten, dass sie ihre Intuition ‘spüren’. Macht eine Art Intuitions-Log: Wie und wann habe ich meine Intuition benutzt? Wie war das? Wie gut war die Entscheidung? So lernt Ihr Eure Intuition zu erkennen und ihr zu vertrauen. Je mehr man sie benutzt, desto stärker wird sie. Wie ein Muskel, den man trainiert. Und überprüft dabei regelmäßig Eure Entscheidungen. Analyse und Intuition können und sollten Hand in Hand gehen.
Kennt Euer Business und kennt Euch selbst! Kennt Eure Werte, was Euch motiviert, wovor ihr Angst habt, Eure emotionalen ‘Knöpfe’, die andere bei Euch schon mal drücken. Holt Euch regelmäßig Feedback von anderen, um zu verstehen, wie sie Euch sehen. Füttert Eure “Datenablage” im Unterbewusstsein mit Information – so vielfältig wie möglich und bleibt neugierig auf neue Erfahrungen. Erweitert ständig Euren Horizont und umgebt Euch auch mit Menschen, die anders seid als ihr – lernt von ihnen, wie sie die Welt sehen.
Und denkt daran, manchmal einfach still zu stehen.
Herzlichen Dank für die offenen Worte!
Das Interview führte Thomas Keup.
Über Inka Kretschmer:
Inka Kretschmer ist seit mehr als einem Jahrzehnt erfolgreich als Coach und Trainerin. Dabei arbeitet sie nicht nur mit etablierten Grosskonzernen, sondern auch gern mit Kleinunternehmern. Gerade die Arbeit in der Gründerszene findet sie spannend und zog sie unter anderem nach langen Jahren im Ausland wieder zurück nach Berlin. Der Fokus ihres Coachings liegt auf der Entfaltung individueller Führungskompetenzen und der Entwicklung der emotionalen Intelligenz des Einzelnen, denn es ist ihre feste Überzeugung, dass Führen gelernt werden kann und authentisch sein muss.
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