Exklusiv-Interview mit Holger Weiss, Entrepreneur und Investor
Autonome Fahrzeuge sind die Zukunft der Mobilität und Top-Themen bei Apple, Google & Co. Mit autonomen Fahrzeugen versuchen auch Audi, BMW & Daimler, die Kurve zu kriegen. Der Milliarden-Deal mit Nokia Here zeigt, wohin die Karavane zieht.
Einer der führenden deutschen Innovatoren rund um die Mobilität von Morgen ist der Berliner Entrepreneur Holger Weiss. Er hat mit Gate 5 und Nokia an den für 2,5 Mrd. Euro verkauften “Here Maps” gearbeitet. Wir wollen wissen, wie er die Zukunft sieht:
Du hast 10 Jahre mit Gate 5 und Nokia am Kartenmaterial von Here gearbeitet. Freust Du Dich, dass die Karten an die deutschen Autobauer gehen – und nicht in die USA?
Ich freue mich zunächst mal, dass das, was aus unserem ‘kleinen’ Unternehmen gewachsen ist, heute wörtlich die Welt bewegt. Ich bin seit Gate 5 eng mit der Entwicklung im Bereich Automobil verbunden und habe diese in den letzten Jahre eng verfolgt. Dass sich drei deutsche Premiumhersteller nun zusammen schließen und gemeinsam Here kaufen zeigt, wie sehr diese Industrie gerade dabei ist, sich neu aufzustellen. Deutschland ist Autoland und das soll sich auch in einer Digitalisierung dieser Branche nicht verändern.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir das führende Land der vernetzten Mobilität werden müssen. Wir haben alle weltweit führenden Hersteller, wir haben die weltgrößten Zulieferer in Deutschland und die Öffentlichkeit sowie die Politik ist stark sensibilisiert für das gesamte Thema. Natürlich freut es mich da auch, dass Here Teil dieses Ökosystems bleibt. Auf der anderen Seite muss man klar sehen, dass das alles nur mit globaler Ausrichtung funktioniert – und das hätte auch für den Fall gegolten, dass ein amerikanischer Bieter gewonnen hätte.
Was war aus Deiner Sicht der ausschlaggebene Punkt, dass die Karten nicht für einen größeren Preis an Alibaba, Amazon, Apple oder Facebook verkauft wurden?
Es ist ja reine Spekulation, dass ein anderer Bieter mehr aufgerufen hat. Nokia ist ein marktwirtschaftliches Unternehmen. Da hätte man ein höheres Angebot sicher nicht ausgeschlagen. Natürlich kann es immer noch Aspekte geben, die bei gleichen Angeboten einen Käufer zu dem bevorzugten machen. Das weiß ich aber nicht, wie das in diesem Fall gewesen ist.
Welche Bedeutung hat das von Dir mitentwickelte Kartenmaterial für die Zukunft der automobilen Mobilität – und für die Zukunft von Audi, BMW und Daimler?
Wir müssen unterscheiden: Gate 5 ist sicher mit Recht als die Keimzelle von Here zu betrachten, die digitalen Karten kamen aber durch die spätere sehr viel größere Akquisition von Navteq hinzu. Bei Gate 5 haben wir Navigationssoftware entwickelt, die auf die Daten von Navteq und anderen zurückgriff. Allerdings ist es richtig, dass vor allem die digitalen Karten ausschlaggebend für den Erwerb von Here waren. Dabei geht es nicht um Karten wie wir sie heute von der Here App kennen oder von Google Maps. Das Zauberwort heißt ‘selbstfahrendes Fahrzeug’: Die kommenden Jahre werden einen explodierenden Innovationsschub in diesem Bereich bringen. Alle führenden Hersteller und auch ursprünglich Branchenfremde basteln an der Technologie und entsprechenden Konzepten.
Dabei geht es nicht mal nur darum, dass ich bei meinem Auto auf der Autobahn den Autopilot einschalte, sondern um zukunftsweisende Systeme für den Nahverkehr oder den Güterverkehr. Für solche Anwendungen reichen aber ‘normale’ Kartendaten nicht aus, sondern es wird eine komplett neue Qualität an digitalen Karten, sog. HD-Karten geben, aus denen der Algorithmus dann bspw. einen Spurwechsel in einem Kreisel bei 45 km/h berechnen kann. Damit stellt dieses Kartenmaterial wenn man so will die Grundlage oder die Grammatik jeglicher Entwicklung in diesem Bereich dar. Ein immenser Wert für Automobilhersteller – oder anders formuliert: eine immense Abhängigkeit, in die sich der Hersteller begeben würde, sollten diese Daten bspw. von einem Dritten erworben werden.
Sitzen wir irgendwann im selbstfahrenden Auto und lassen uns Nachrichten auf die Windschutzscheibe projizieren – und wird das Steuer einmal überflüssig werden?
Kurz gesagt: ja. Und es wir schneller passieren als sich der ein oder andere das vorstellt. Allerdings sind bis dahin noch sehr viele Fragen zu klären und Entwicklungsschritte zu unternehmen. Dabei ist die Technik noch nicht mal der komplexeste Bereich: Es werden rechtliche Konsequenzen diskutiert, die fast bis ins metaphysisch Philosophische reichen:
Wenn zwei von Computern gesteuerte Fahrzeuge einen Unfall miteinander haben, wen trifft dann die Schuld? Und wie ist dann die Haftung zu beurteilen. Ich glaube auch, dass obwohl in wenigen Jahren die Technik ausgereift genug sein wird, Fahrzeuge ohne Fahrer auf die Straßen zu lassen, es auch einen gesellschaftlichen Prozess geben werden muss, was die Akzeptanz solcher Systeme betrifft. Wenn man sich mit den Themen täglich befasst, kann man es nicht erwarten, dass es losgeht, aber für viele wird es doch noch dauern, bis man sich daran gewöhnt hat. Sicher auch ein Thema für die Politik.
Werden sich die Ansprüche an individuelle Mobilität in den kommenden Jahren erheblich verändern – oder geht es weiterhin vor allem um den Weg von A nach B?
Ganz klar und wie ich oben erwähnt habe, glaube ich, dass bspw. der öffentliche Nahverkehr ein ganz wesentlicher Bereich sein wird, in dem autonomes Fahren vorangetrieben wird. Algorithmische, nach Verkehrsfluss uns anderen Parametern abhängige Routenoptimierung wird es erlauben, dass mich der Minibus vor meiner Haustür abholt und am Büro absetzt – in der bestmöglichen Zeit. Dabei wird es selten vorkommen, dass der Bus die gleichen Strecke zweimal fährt, denn am Ende ist es ja nur wichtig, dass ich bei A abgeholt werde und bei B in einer bestimmten Zeit abgesetzt werde.
Ich glaube wirklich, dass die vernetzte Mobilität große Probleme von Städten in Teilen lösen kann. Dabei sind selbstständig fahrende Autos nur ein Teil eines großen Konzeptes. Durch die Vernetzung und den Datenaustausch werden auch andere Verkehrsmittel mit einbezogen werden. Multimodale Routing Systeme (vgl Ally aus Berlin) werden die Verknüpfung zwischen den Systemen herstellen. Egal welche Disziplin der Wissenschaften man befragt – in einer Antwort sind sich alle einig: Die Menschheit wird zunehmend in Metropolen leben, und diese werden groß sein, sehr groß. Die Entwicklungen, die wir gerade hier diskutieren, sind ein wesentlicher Grundstein, solche Mega-Cities organisierbar zu machen.
Wo liegen die Herausforderungen für eine autonome Automobiltät? Werden Rechner, Netze und Speicher ausreichen, die enormen Rechenleistungen zu verarbeiten?
Ich denke schon, aber gewiss wird es hier auch noch viel zu lernen sein. Es geht um intelligente Infrastrukturen, die Datenpakete kapseln, optimieren und das Senden und Empfangen immer wieder den Gegebenheiten anpassen. So muss bspw. ja nicht jedes Fahrzeug mit einer Zentraldatenbank dauerhaft verbunden sein. Fahrzeuge können verteilte Daten miteinander austauschen und nur ab und zu zum Abgleich sich mit einem Backend verbinden. Ohnehin ist diese Car-to-Car Kommunikation elementarer Bestandteil des vernetzten Fahrens.
Wenn sich bspw. mehrere Trucks in Zukunft zu einem Zug zusammenschließen – d.h. alle mit der gleichen Geschwindigkeit und dem gleichen Abstand auf einer entsprechenden Spur auf der Autobahn fahren – werden Informationen über Straßen, Verkehr, Wetter oder darüber ob ein Truck die Kette verlassen muss, nicht über einen Zentralrechner gesteuert, sondern von Fahrzeug zu Fahrzeug. Die Computerleistungen von Autos ist heute schon enorm, wird aber sehr ineffizient genutzt. Rückfahrkamera und Parkassistent in einem Premiumfahrzeug benötigen große Rechenleistung, allerdings sehr selten, nämlich nur dann, wenn man einparkt. Ansonsten liegen die Kapazitäten brach und könnten in dieser Zeit für andere Anwendungen verwendet werden.
Wenn Du einen Wunsch frei hättest: Was würdest Du Dir in Sachen Automobiltät wünschen? Und gibt es etwas, an dem Du mitarbeiten würdest oder wirst?
Wie ich oben erwähnte wünsche ich mir, dass wir das Thema Automobilität auch in Zukunft aus Deutschland heraus anführen werden. Ich bin sicher ein global denkender Mensch, aber ich denke auch marktwirtschaftlich und volkswirtschaftlich. Deshalb müssen wir alles daran setzen, diese Kompetenzen für vernetztes Fahren und Mobilität auch von hier aus voranzutreiben. Dafür bedarf es nicht nur hervorragender Gründer und ausreichenden Kapitals, sondern es ist vor allem auch ein Thema der Politik und der Industrie. Wir versuchen gerade mit ein paar Mitstreitern genau dort auch dem Thema entsprechende Aufmerksamkeit zu geben. Dafür ist Berlin hervorragend geeignet – hier laufen die Fäden zusammen.
Vielen Dank für Deine persönlichen Einblicke!
Das Interview führte Thomas Keup
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Über Entrepreneur und Investor Holger Weiss:
Holger G. Weiss verfügt über mehr als 15 Jahre Erfahrung beim Auf- und Ausbau sowie beim Verkauf von international erfolgreichen Unternehmen der digitalen Wirtschaft. Aktuell fungiert er als CEO von Aupeo, die unter seiner Leitung im April 2013 von Panasonic Automotive US akquiriert wurden. Zuvor war der Serien-Entrepreneur Teil des Managements von Gate 5 und ebenfalls maßgeblich an dem Verkauf des Unternehmens an Nokia beteiligt. Weiterhin ist Weiss als Business Angel und Mentor für Startups in Deutschland, in Großbritannien und in den USA aktiv.
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Startup Grind Berlin meets Holger Weiss
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